[Supergau] Fwd: [Debatte-Grundeinkommen] Süßes Gift: SZ-Beitrag und Antworten
Helga Fischer
hfischer at eschkitai.de
Fr Feb 10 14:33:45 CET 2017
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Betreff: [Debatte-Grundeinkommen] Süßes Gift: SZ-Beitrag und
Antworten
Datum: Donnerstag 09 Februar 2017
Von: "Joachim Winters via Debatte-Grundeinkommen"
<debatte-grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de>
An: Debatte-Grundeinkommen at listen.grundeinkommen.de
7. Februar 2017, 18:53 Uhr
Außenansicht Süßes Gift
Anke Hassel, 51, ist wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts-
und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der
Hans-Böckler-Stiftung.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die Gesellschaft spalten und
den Aufstieg bisher Benachteiligter verhindern.
Von Anke Hassel
Die Idee wird bei Ökonomen, Managern, Aktivisten und Unternehmern
immer beliebter: das bedingungslose Grundeinkommen als Alternative
zur traditionellen Sozialpolitik. Statt wie bislang Hilfe zum
Lebensunterhalt bei Notlagen und Leistungen aus der Arbeitslosen-
und Rentenversicherung bei Arbeitslosigkeit und im Alter soll es in
Zukunft den gleichen Betrag für alle geben. Im Gespräch sind Beträge
zwischen 1 000 und 1 200 Euro im Monat für jeden Erwachsenen. Dafür
gibt es dann keine Sozialhilfe, kein Hartz IV, aber voraussichtlich
auch keine Rentenversicherung oder Arbeitslosenversicherung mehr.
Das Grundeinkommen verspricht Freiheit, weil sich jeder und jede
selbst überlegen kann, ob sie, ob er erwerbstätig sein will oder
lieber Freiwilligendienste oder auch gar nichts tun will. Es
verspricht auch der Politik den Luxus, sich nicht mehr um
Arbeitslosigkeit zu sorgen. Und es erscheint für Unternehmen als
eleganter Weg aus der Rationalisierungsfalle. Arbeitsplätze, die dem
technischen Wandel oder der Globalisierung zum Opfer fallen, sind
kein Problem mehr, da im Zweifel die Betroffenen finanziell
abgesichert sind und zu Hause ihre Kinder betreuen oder Hobbys
nachgehen können.
Dennoch ist das Grundeinkommen eine Sackgasse. Das am häufigsten
genannte Problem ist die Finanzierbarkeit. Die Kosten sind nicht
beziffert, sicher ist nur, dass sie hoch sein werden. Wie Einkommen
und Vermögen dafür besteuert werden sollen, bleibt offen. Es wäre
das größte finanzielle Wagnis in der neueren Geschichte, wenn das
Sozialsystem radikal auf ein Grundeinkommen umgestellt würde.
Aber die finanzielle Seite ist noch nicht einmal das wichtigste
Argument gegen ein Grundeinkommen. Das Grundeinkommen ist ein
verführerisches Gift. Es nutzt den Rändern der Gesellschaft auf
Kosten ihrer Mitte. Für Bedürftige und Langzeitarbeitslose ist das
Grundeinkommen eine Hilfe, weil es den Druck zur Arbeitsaufnahme
nimmt und die unangenehmen Seiten der Aktivierungspolitik beseitigt.
Die Reichen wird es voraussichtlich nicht mehr kosten als bisher und
ihnen zugleich ihr soziales Gewissen erleichtern. Steigende soziale
Ungleichheit wäre dann kein gesellschaftlicher Skandal mehr, da alle
ja ein Auskommen haben, liege es auch nahe an der Armutsgrenze.
Gerade daraus ergeben sich drei wesentliche Gründe, die gegen ein
bedingungsloses Grundeinkommen sprechen:
Erstens wird das Grundeinkommen die Gesellschaft weiter spalten und
soziale Mobilität verhindern. Jene, die aufgrund ihrer familiären
Herkunft gute Aussichten auf eine interessante Beschäftigung und ein
hohes Einkommen haben, werden weiterhin am bestehenden Arbeitsethos
festhalten, sich in Schule und Studium engagieren und zwischendurch
das eine oder andere Sabbatical einlegen. Das ist eine feine Sache.
Jungen Menschen aus der bereits bei der Bildung benachteiligten
Hälfte der Gesellschaft, aus Arbeiter- und Migrantenfamilien, wird
der Aufstieg jedoch noch schwerer gemacht, als er ohnehin schon ist.
Das süße Gift des Grundeinkommens wird sie bei jedem Schritt in
ihrer Schul- und Berufsausbildung begleiten. Die Kinder aus dem
Berliner Problembezirk Neukölln sagen heute oftmals: "Ich werde
Hartzer", wenn sie gefragt werden, was ihre Berufsziele sind.
In Zukunft werden sie stattdessen "Ich werde Grundeinkommen" dazu
sagen. Ihre Zahl wird in dem Maße steigen, wie auch das
Grundeinkommen steigt. Ihre Motivation, in sich selbst zu
investieren und über qualifizierte Arbeit aufzusteigen, wird täglich
auf eine neue Probe gestellt werden, und zwar in einem Alter, in dem
man sowieso mit sich und den Anforderungen der Umwelt zu kämpfen
hat. Der Rest der Gesellschaft wird sich um diesen Aufstieg noch
weitaus weniger kümmern als heute - die Leute sind ja versorgt.
Zweitens fehlt dem bedingungslosen Grundeinkommen die
gesellschaftliche Legitimation. Es lassen sich derzeit keine Modelle
vorstellen, in denen alle Teile der Gesellschaft gleichermaßen
gewinnen. Wahrscheinlich ist daher, dass ein bedingungsloses
Grundeinkommen von der Mitte der Gesellschaft an diejenigen
umverteilt, die nicht oder nur in geringem Umfang erwerbstätig sind.
Umfassende Sozialleistungen, die über reine Armutsbekämpfung
hinausgehen, werden jedoch über bestehende
Gerechtigkeitsvorstellungen legitimiert - wie auch sonst? Dazu
gehört das Ziel der Chancengleichheit, das etwa Bildungsausgaben
oder die Erbschaftsteuer begründet. Oder die Leistungsgerechtigkeit,
die eine Art Risikoversicherung gegen Arbeitslosigkeit und Alter
begründet und damit eine Verbindung zwischen Beiträgen und
Auszahlungen schafft.
Einwanderer integrieren sich vor allem am Arbeitsplatz
Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird prinzipiell mit einem
Bürgerrecht auf Einkommen begründet, wobei offen bleibt, warum dies
auch jenen bezahlt werden soll, die es gar nicht brauchen. Wer es
fordert, kann sich damit nicht auf eine Solidarität mit Schwächeren
berufen, da diese sowohl im Hinblick auf den Kreis der Begünstigten
wie auch im Umfang begrenzt wäre. Die erwerbstätige Mitte, die das
Grundeinkommen zwar finanzieren soll, sich jedoch voraussichtlich
materiell dadurch nicht grundsätzlich besser stellen wird, kann
diese Form der "bedingungslosen" Umverteilung in ihrem
Gerechtigkeitsempfinden wohl nicht abbilden. Deshalb sind große
Umverteilungsprogramme bei Wählern in der Regel nicht beliebt;
selbst bei denen nicht, die wahrscheinlich davon profitieren würden.
Aus dem Grund haben die Schweizer das Grundeinkommen beim Referendum
im vergangenen Jahr mit großer Mehrheit abgelehnt.
Drittens ist das bedingungslose Grundeinkommen das Gegenteil von dem,
was eine rasch wachsende Einwanderungsgesellschaft braucht. Bei
einer hohen Zahl von Arbeitsmigranten und anderen Zuwanderern sind
mehr Mechanismen der gesellschaftlichen Integration nötig und nicht
weniger. Es ist eine Erfahrung, die jeder im Alltag machen kann:
Menschen begegnen sich am Arbeitsplatz, sie lernen einander kennen,
erfahren Wertschätzung und lernen die Sprache. In dieser Situation
den Menschen einen Grund zu geben, aus der Erwerbsarbeit
auszusteigen, nicht mehr Qualifikationen zu erwerben, sondern zu
Hause zu bleiben, wäre ein fatales Signal.
Dessen ungeachtet brauchen wir eine Debatte über eine gute
Gesellschaft, die nicht allein auf Erwerbstätigkeit und den
Arbeitsmarkt setzt. Es gibt viel gesellschaftlich notwendige Arbeit,
die nicht über den Markt erfolgen kann und die honoriert werden
muss. Das bedingungslose Grundeinkommen ist jedoch dafür der
falsche Weg.
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